Ein Gespräch von Marlene Obermayer — in Kunstforum #256, page 132–141
Hinter dem Projekt Gloria Glitzer stehen die Künstlerin Franziska Brandt und der Künstler Moritz Grünke. In Berlin führen sie seit 2012 das Riso-Druckstudio „we make it“, das zugleich ein Ausstellungsraum für Künstlerpublikationen ist. Es beherbergt zudem die Bibliothek Herbarium Riso, eine öffentliche Bibliothek mit dem Schwerpunkt auf risogedruckte Künstlerbücher und Artzines. Seit mehr als 10 Jahren nehmen sie als Gloria Glitzer an nationalen und internationalen Kunstmessen teil. Neben Michalis Pichler und Yaiza Camps ist Grünke zudem im Kernteam der jährlich stattfindenden Miss Read – The Berlin Art Book Fair.
Gloria Glitzer gibt es schon seit 2007. Könnt ihr mir kurz etwas zu den Anfängen erzählen?
Moritz Grünke: Wir haben beide in Halle (Saale) an der Burg Giebichenstein studiert. Franziska Malerei und ich zu Beginn Grafikdesign. Dann bin ich in die Freie Grafik im Fachbereich Kunst gewechselt, wo ich viel mit Drucktechniken zu tun hatte. Über das Drucken kam ich im Laufe der Zeit dann zum mehrseitigen Objekt des Buches als künstlerische Ausdrucksform und das Publizieren wurde zur künstlerischen Praxis. Für mich stellt das Buch dabei ein überaus vielseitiges Medium dar, weil es diesen zeitbasierten Aspekt beinhaltet. Die Art und Weise wie es durch die BetrachterIn rezipiert wird, ist durch diesen selbst bestimmbar, das finde ich reizvoll. Wie es zu Gloria Glitzer gekommen ist …
Franziska Brandt: … wir wurden 2007 von einer befreundeten Künstlerin zu einer Ausstellung in die Kunsthochschule Weißensee eingeladen und haben dafür einen Stand mit Give-aways konzipiert und erfanden für diese kleinen Objekte den Namen Gloria Glitzer, welcher später zu unserem Alter Ego wurde, unter welchem wir unsere Künstlerpublikationen veröffentlichen würden. Wohin uns dieser Name Jahre später führen sollte, war zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar. Zunächst war es vielleicht eher ein Spaß, ein Name hinter dem wir uns ein bisschen verstecken konnten und heute lässt er sich als Mittlerin zwischen Moritz, mir, den BetrachterInnen und unseren Arbeiten verstehen.
In Berlin Wedding habt ihr die Risographie-Druckwerkstatt „we make it“, die auch ein Ausstellungsraum ist und die kleine Bibliothek Herbarium Riso beherbergt. Wie seid ihr auf den Risographen gekommen?
M: „we make it“ gibt es seit 2012, den Riso hatten wir schon zwei Jahre vorher gekauft. Nach dem Studium verlässt man die Hochschule und hat keinen Zugang mehr zu den Werkstätten der Hochschule und für die Nutzung von freien Werkstätten muss man zahlen. Das setzt mich immer extrem unter Druck, die Zeit für die Werkstattnutzung effektiv nutzen zu müssen.
Wir standen vor der Frage wie wir nach dem Studium weitermachen wollten und wie wir uns unser neues Arbeitsumfeld vorstellen. So reifte die Idee, uns selbst etwas aufzubauen und über die Bedingungen unserer Arbeit selbst entscheiden zu können.
In Berlin hatte ich ein paar Publikationen gefunden, die mit einem Riso gedruckt wurden und war von der Ästhetik beeindruckt. Sie erinnerte an irgendwas zwischen Zinkografie und Siebdruck. Ich recherchierte und war überrascht, dass es eine so unscheinbare, kompakte Maschine war, die wie ein gewöhnlicher Kopierer aussah, das war absolut reizvoll für uns. Wir kauften ein gebrauchtes Gerät und begannen unsere eigenen Publikationen damit zu drucken, später auch speziell dafür zu konzipieren.
F: Ein interessanter Moment ist auch, dass in unser Studio Menschen aus den unterschiedlichsten Arbeitskontexten kommen und Sachen drucken lassen möchten bzw. mit uns gemeinsam an neuen Projekten arbeiten wollen. Dadurch entstehen spannende Verbindungen und Freundschaften zu Leuten aus der Musik, Literatur, Architektur und Kunstvermittlung. Die Idee der Selbstermächtigung, welche ja auch Teil des Self-Publishing ist, lässt sich nicht nur im Bereich der Kunst finden.
Gloria Glitzer wird vom Zusatztitel "Oh No – Artists who do books" begleitet und spielt auf das Werk von Ed Ruscha aus dem Jahr 1976 an. Das „Oh No“ ist wahrscheinlich ironisch zu verstehen?
M: (lacht) Ja, dabei handelt es sich genau genommen um zwei Titel von zwei verschieden Arbeiten des Künstlers Ed Ruscha.
F: Genau. Es ist klar als Selbstironie oder als Selbstbefragung zu verstehen. „Ist es echte Kunst?“ oder „Was ist das jetzt?“ was wir da machen. Die Frage nach dem intellektuellen Wert stellt sich dabei genauso wie die Frage wo im Kunstfeld wir uns verorten wollen.
Ed Ruscha ist ein Künstler, den wir sehr schätzen und der für viele KünstlerInnen aus dem Bereich des Self-Publishing impulsgebend und inspirierend ist.
Weitere Referenzen auf Künstler, die ihr schätzt, finden sich auch bei Publikationen wie Thrown into the Sea (2013) oder WorkWork NoNo (2015).
F: Ja genau, Thrown into the Sea (2013) bezieht sich auf ein frühes Werk von Lawrence Weiner. Für uns ging es ebenfalls um eine Beeinflussung der Umgebung durch ein Objekt und die Frage nach der Autorschaft. Die BetrachterIn wird aufgefordert einer Handlungsanweisung zu folgen, und damit selbst aktiv zu werden. Sie wird zur AutorIn der künstlerischen Arbeit und der Risograph wird zur KünstlerIn.
Das Künstlerbuch WorkWork NoNo (2015) bezieht sich auf frühe Arbeiten von Bruce Nauman aus den 60er Jahren, wo er überlegt hat, „Ich bin ein Künstler und was bedeutet das eigentlich? Wie komme ich eigentlich zu einer Idee für eine Arbeit?“ Er hat dann z.B. tagelang in seinem Atelier Violine gespielt, sich auf dem Boden gewälzt oder ist auf einem auf den Boden aufgemaltes Quadrat entlang geschritten und hat diese, ich nenne sie mal Übungen, mit Video aufgezeichnet. Mit einfachen Mitteln über Kunst nachdenken, sich darüber philosophischen, ästhetischen oder gar politischen Themen annähern und mit Hilfe derer eine Übersetzung in Form einer künstlerischen Arbeit finden – das war bspw. der Hintergrund zu WorkWork NoNo.
Könnt ihr mir näheres zu dem Künstlerbuch Theory (2017) sagen? Im ersten Moment sieht es ja aus wie ein konventioneller Collegeblock.
M: Um es amerikanisch auf den Punkt zu bringen, ist es ein „Readymade lookalike“, es tut so, als ob es ein Readymade wäre, ist aber komplett handgemacht. Alle Seiten sind auf dem Riso gedruckt, von Hand zusammengetragen und selbst spiralgebunden. Es sieht aber aus wie ein 1€ Collegeblock. Dies ist von der technischen Seite ein Aspekt, referiert aber andererseits auf die Publikation Theory von Kenneth Goldsmith (Jean Boîte Éditions, 2015). Es handelt sich bei ihm um eine Sammlung von Gedanken, Aphorismen und Statements zu Piracy, Appropriation, Copyright usw.
F: Seine Publikation kommt wie eine Blattsammlung. Als würde man ein Paket Kopierpapier kaufen und so es ist auch eingepackt. Im ersten Moment ist es mehr ein Objekt, aber man kann es öffnen und dann hat man die einzelnen Blätter und diese lassen sich natürlich in ihrer Abfolge verändern.
M: Unser Theory kann wie ein Kommentar darauf gelesen werden.
F: Dazu gibt es den Kugelschreiber mit der Aufschrift „exactly wrong“ ...
M: ... was wiederum ein Zitat aus der Publikation von Goldsmith ist.
F: Dann kann man sagen, ok, ist man jetzt so dreist und verändert die Kunst, sodass man Einfluss auf die Arbeit nimmt und begreift sie als eine prozesshafte Versuchsanordnung oder man sagt, das Objekt ist nicht veränderbar, was vermutlich nicht der Idee von Goldsmith entsprechen würde, betrachtet man seine anderen künstlerischen Arbeiten.
Könnt ihr mir mehr zu der About-Serie erzählen?
M: Das Leporello kann als mobiler Ausstellungsraum begriffen werden. In einem Ausstellungsraum kann ja alles passieren, eine Wand wird Schwarz gestrichen oder rausgerissen oder ein Loch wird in den Boden gesägt. Der Raum wird mit Inhalt „aufgeladen“. Im übertragenen Sinn kann man das auch in dieser Publikation machen.
F: Angefangen hat es mit einer Ausstellungsbeteiligung, bei der wir über ein geeignetes Portfolio unserer eigenen Arbeiten nachdachten. Darüber entwickelten wir die Idee weiter und luden nun in regelmäßigen Zeitabständen verschiedene KünstlerInnen ein, die Serie fortzuführen.
M: Das ist ja auch etwas sehr Zeitgemäßes. Dieses Mobil-Sein, was das Büchermachen auch ausmacht. Kein riesiger Kunsttransport, man hat nur seinen Koffer, wo die Publikationen drinnen sind. Und die About-Serie ist eine ähnliche Idee – ein Raum, den man mitnehmen kann.
Wie lange hat es gedauert, bis eure Bücher in den Umlauf gekommen sind? Hat es mit der Teilnahme an Kunstbuchmessen begonnen?
M: Ja das kann man schon so sagen, das war ungefähr 2011 als wir zu den C|O Book Days eingeladen worden sind. Dort haben wir ausschließlich unsere Artzines gezeigt, wie z. B. Raster Control (2009), About #1 / About #2 (2010), und Deal with Roy (2012). Das war unsere erste Messe-Erfahrung, es sollten nun viele darauffolgen.
F: Außerdem hatte Moritz ja in dieser Zeit auch ziemlich intensiv den Blog artzines.de geführt, auf welchem er wichtige Events, Beiträge und Publikationen gepostet hatte, was uns wiederum einen intensiven Eindruck in die Szene gab.
M: Eine prägnante Erfahrung war außerdem die Kuration der Ausstellung I’ve Zine the Darkness für den Galerieraum dieschönestadt in Halle an der Saale.
F: Wir starteten einen internationalen Open Call und erhielten für diese Ausstellung überraschend viele Einsendungen aus der ganzen Welt. Schon vor der Ausstellung beschäftigten wir uns mit der Frage, was mit den vielen Zines geschehen sollte. Wir wollten, dass sie sichtbar bleiben. Und das war ein Aspekt, der auch für die Publisher interessant war, dass ihre Arbeiten einen Ort bekommen, an denen sie auch über den Ausstellungszeitraum hinaus für die Öffentlichkeit zugänglich und sicher aufbewahrt ist.
M: Wir hatten die Idee, dass die Artzines danach Teil der Hochschulbibliothek der Burg Giebichenstein werden könnten und nahmen Kontakt mit den BibliothekarInnen der Hochschulbibliothek auf, um ihnen unser Projekt vorzustellen. Die Systematisierung der Artzines war für sie eine echte Herausforderung. Es gab keine ISBN und oft nicht mal ein Impressum. Darüber hinaus haben wir alle Einsendungen auf einer Webseite dokumentiert.
Wie unterscheiden sich die nationalen von den internationalen Kunstbuchmessen?
M: Letztlich unterscheiden sich nationale und internationale Messen nur durch die Sprache, mit welcher kommuniziert wird. Das ist ja das beeindruckende, dass das Phänomen Self-Publishing so global ist. Das Internet war dabei wegbereitend. Die analoge und die digitale Welt finden in diesem Phänomen, in dieser Praxis wirklich zusammen. Das finde ich besonders beeindruckend.
F: Nebenbei sind die Veranstaltungen eine wunderbare Gelegenheit, die Menschen hinter den Publikationen, welche einen selbst vielleicht schon lange begleiten kennenlernen zu können. Über die Jahre entstehen auch Freundschaften und sehr intensive Begegnungen. Messen werden zu Orten des Austauschs, nicht nur in Bezug auf die künstlerischen Arbeiten, sondern auch hinsichtlich der aktuellen Arbeitsbedingungen von KünstlerInnen in den unterschiedlichen Ländern. Und natürlich ist es auch der Ort, an dem Publikationen gezeigt, ausgestellt, getauscht und vor allem verkauft werden.
M: Ja, gerade in New York auf der NYABF gibt es neben den vielen Self-Publishern auch große Verlage, Galerien und Antiquariate, die sehr gut Geld verdienen und dann gibt es AusstellerInnen, die ein Jahreseinkommen investieren, um bei der NYABF dabei zu sein. Neben den eigenen kleinen Onlineshops und den seltenen Distributions-Orten, wie ausgewählte Kunstbuchläden (bspw. Printed Matter in NYC), sind diese Veranstaltungen die an denen man die meisten Publikationen verkaufen und sie einer breiten Öffentlichkeit vorstellen kann.
Stichwort Berlin. Hier gibt es jährlich gleich zwei Kunstbuchmessen, die Miss Read und die Friends with Books.
M: Beide Messen sind ursprünglich aus der Miss Read hervorgegangen und zeigen nun ähnliche, aber auch verschiedene Positionen. Im Rahmen der Miss Read findet zusätzlich der Conceptual Poetics Day statt.
Da ich seit 2015 selbst, neben Yaiza Camps und Michalis Pichler, einer der OrganisatorInnen der Miss Read bin, könnte ich von einer Konkurrenzsituation sprechen, aber letztlich zeigt sich durch die Präsenz der beiden Veranstaltungen eine enorme Vielfalt der Szene und allein durch die beiden unterschiedlichen Ausstellungssorte Haus der Kulturen der Welt und Hamburger Bahnhof werden verschiedene Publikumsspektren angesprochen, was ja nur positiv für die Szene sein kann. Ich denke Berlin kann diese beiden Veranstaltungen gut vertragen, bedenkt man auch, dass in London fünf Veranstaltungen dieser Art nebeneinander existieren.
Moritz, was ist alles – im Zusammenhang mit der Organisation einer solchen Messe wie MissRead – zu tun, wie kann man sich das vorstellen?
M: Als kleines Team versuchen wir basisdemokratisch zu arbeiten, wir gehen gemeinsam die Bewerbungen zur Teilnahme durch und entscheiden, wen wir gern ausstellen und einladen möchten, wie das Rahmenprogramm aussehen soll und wie wir uns dahingehend inhaltlich positionieren wollen. In diesem Jahr werden rund 220 AusstellerInnen zur MissRead kommen.
Dieses und letztes Jahr haben wir etwas Geld vom Senat bekommen und das stellt uns dann vor ganz andere Herausforderungen. Aus der buchhalterischen Sicht z.B. Aber es gibt uns die Möglichkeit Reisekosten für Vortragende zu übernehmen und kleine Honorare zu zahlen.
Außerdem sind wir sehr glücklich über den Ausstellungsort im Haus der Kulturen der Welt. Die Self-Publisher Szene bringt den Ort mit einer bestimmten kulturellen und politischen Haltung in Verbindung und die Leitung des HKW unterstützt unser Projekt personell und inhaltlich und ist daher eine großer Bereicherung für unsere Arbeit.